Das Schweizermittelland
Die meisten Menschen denken bei “Radfahren + Schweiz” wohl an hohe Pässe, stundenlanges Bergauftreten, mühsames Schwitzen … Es gibt aber auch weniger bekannte Seiten der Schweiz: Gegenden so flach und Wege so schnurgerade, dass man meint in Holland zu sein … wenn da nicht die Berge am Horizont wären. Wir sind durchaus keine Pass-Verächter; aber für die Durchquerung der Schweiz wollten wir uns dennoch eine Strecke mit nicht zu vielen Gipfeln suchen. So entschieden wir uns nicht für die 9-Seenroute mit 6000 Höhenmeter; sondern für die Mittellandroute genannt Veloroute 5 und erkundeten die weniger bekannten Seiten der Schweiz. Vom Rheinfall aus folgten wir zuerst ein Stück dem Rhein und bogen dann kurz vor Kaiserstuhl ab, um mit nicht allzu vielen Höhemetern auf die gewünschte Route zu stoßen. Hierbei hatten wir wieder einmal unser Baustellenglück; Sommer ist ja bekanntlich Baustellen-Hochsaison. Doch bis jetzt konnten wir alle Baustellen bewältigen, da entweder ein Streifen für Radfahrer freigehalten worden war oder weil die Baustelle genau am Tag unserer Durchfahrt wieder freigegeben worden war. Die erste Nacht im Schweizer Mittelland verbrachten wir in Baden aufgrund des seit 10 Jahren geschlossenen Campingplatzes (Die Auskunft am Bahnhof wusste das noch nicht …) in der Jugendherberge, die weiteren dann auf Campingplätzen in Solothurn und am Lac Neuchâtel. Bei letzterem hatten wir den Eindruck, dass nicht wir sondern die Campingplatzrezeption auf Urlaub ist: Eine Stunde Öffnungszeit am Spätnachmittag und eine am Spätvormittag. Ab 18.00 Uhr am Abend und bis 10.00 Uhr in der Früh war niemand anzutreffen. Mit Hilfe von anderen Campern fanden wir uns dennoch zurecht und verbrachten ungeplant eine Nacht zum Nulltarif. Die Schweiz kann manchmal auch erstaunlich günstig sein ;-).
Nun zu den unbekannten Seiten der Schweiz … Radeln durch das Schweizer Mittelland im Hochsommer ist … *) .. viele mehr oder weniger flache Kilometer entlang des Flusses Aare sowie den Seen Biel, Neuchâtel und Genf. *) … ordentliches Schwitzen. Auch die Schweiz hatte seit Wochen keinen richtigen Regen mehr gesehen und die Schweizer litten darunter, weil sie zu ihrem Nationalfeiertag dem 1. August aufgrund der großen Trockenheit keine Feuerwerke abschießen durften - zumindest im Kanton Solothurn. Wir entdeckt unser neues Lieblingsgetränk: Rivella - gekühlt am Besten, aber auch noch warm genießbar. Bei Temperaturen bis zu 38 Grad ändert sich der Zustand von eisgekühlten Getränken sehr schnell und als Radfahrer braucht man entsprechend viel Flüssigkeit. Auch frau ist ganz erstaunt, dass sie eine 1,5 Liter Flasche auf einen Sitz austrinken kann. *) … freundliche Eidgenossen, die ein Weilchen mit uns plaudern, über das heiße Wetter stöhnen, die teuren Preise ihres Landes bedauern und die daher ausbleibenden Touristen. Außergewöhnlich gastfreundlich war der Turnverein Biberstein auf dem Weg von Baden nach Solothurn zu uns. Aufgeheizt suchten wir am Nationalfeiertag schon ein Weilchen vergeblich nach einem offenen Shop oder Restaurant für ein kühles Getränk, als wir die TurnerInnen beim gemütlichen Zusammensitzen vor ihrer Hütte an der Aare antrafen. Wir fragten, ob wir bei ihnen etwas Kühles zum Trinken kaufen könnten. Kaufen konnten wir es nicht, aber sowohl erfrischendes Wasser als auch Limonade bekamen wir geschenkt - dazu noch ein Fanpaket mit Schweizer Flagge und ein nettes Plauscherl. Herzlichsten Dank für diese besondere Pause!! *) … etliche Radreisend darunter erstaunlich viele Familien, mit fleißig strampelnden Kindern. Auch zwei Pino-Tandems sind uns begegnet. *) … in manchen Dörfern lustige Figuren mit den Namen der in dem Haus wohnenden Kinder an den Wänden. *) … nette Städtchen wie Baden und Solothurn mit gemütlichen Altstadtkernen, urigen Holzbrücken und schönen Kirchen. *) … perfekt beschilderte Radwege - vor allem im deutschsprachigen Teil der Schweiz. Die dazu gehörigen Routen und das notwendige Kartenmaterial kann man sich im Internet gratis downloaden. Schweiz = Veloland! Ein ähnlich überzeugendes Wegenetz zieht sich durch die ganze Schweiz für RollschuhfahrerInnen und Inlineskater. *) … begeisterte CasinobesucherInnen, die in Baden ihr Urlaubsgeld (und mehr) innerhalb von ein paar Minuten verspielen. Dank eines Hinweises des Jugendherbergsrezeptionist, dass man Gratis-Eintritt und 5 Franken Startguthaben als Jugendherbergsgast bekommt, suchten auch wir den Ort des Glückspieles auf und das Glück war uns hold: Es war Newcomer-Day, sodass 1.) Matthias ausnahmsweise mit Flipflops eingelassen wurde und 2.) wir jeder statt 5 15 Franken Startguthaben und dazu ein Glas Wein spendiert bekamen. Den Wein genossen wir, die Startjetons wandelten wir in richtiges Geld um, sodass wir um 30 Franken reicher als zuvor das Casino verließen. *) …. vor allem Flusstreiben! Wenn man in der Schweiz im Sommer Leute mit Badehose oder Bikini irgendwo auf der Straßen gehen sieht, sollte man sich nicht wundern, sondern danach Ausschau halten, wo die nächste Möglichkeit zum Flusstreiben ist. Im Schweizer Mittelland nützt man Flüsse, wo auch immer es geht: Hierzu geht man zuerst etliche Meter oder gar Kilometer den Fluss entlang bis zur gewünschten Einstiegsstelle zu Fuß - gegebenenfalls nimmt man seine Sache in einem wasserdichten Sack mit, dann lässt man sich mit Boot, Standup-Paddelbrett, Luftmatratze, Schwimmreifen oder einfach so den Fluss abwärts treiben. Wie meinte eine Radlerin sehr passend: “Flusstreiben ist wie bergab Radfahren, Schwimmen ohne Anstrengung”