Düsi geht wandern oder ein etwas ungewöhnlicher Grenzübertritt

Patagonien, der südliche Spitz Südamerikas, teilt sich auf in die breite, trockene und windige Pampa und in einen schmalen, grünen, wasserreichen Streifen, geprägt von Gebirgszügen, Gletschern und Fjorden. Erster liegt Großteils in Argentinien, während sich Zweiter entlang der Carretera Austral durch Südchile zieht.

Nach fast zwei Monaten Wind und Pampa waren auch wir neugierig geworden, die andere Seite Patagoniens kennen zu lernen. Um das südliche Ende der Carretera Austral zu erreichen, muss man jedoch entweder einen ordentlichen Umweg machen, da die letzten 250 Kilometer Sackgasse sind, oder eine etwas abenteuerliche Grenzüberquerung mit Schotterpiste, Fährfahrten und sechs Kilometer Wanderweg bewältigen. Da wir keine Lust auf einen Umweg hatten, nahmen wir nach unseren Tagen in El Chaltén dieses Abenteuer in Angriff. Gegen Mittag verließen wir das touristische Wanderörtchen, um die 37 Kilometer Schotter zum See Lago Desierto hinter uns zu bringen. Heftiger Gegenwind bremste uns die ersten Kilometer ordentlich ein und wirbelte uns kleine Steine ins Gesicht. Zusätzlich verzögerte ein Bruch des vorderen Gepäckträgers unser Vorankommen. Wir reparierten es behelfsmäßig mit Kabelbindern. So verpassten wir unsere angepeilte Fähre am Spätnachmittag. Eigentlich wollten wir bei der argentinische Grenzkontrolle auf der anderen Seite übernachten, da man dort gratis Campen darf. Doch daraus wurde nichts. Der argentinische Offizier beim Bootsanleger war trotz netten Gesprächs nicht bereit, uns bei ihm Campen zu lassen. Stattdessen mussten wir einen halben Kilometer zurück zum letzten Campingplatz fahren. Gott sei Dank haben wir in den Geld- und Hosentaschen noch genügend argentinische Pesos gefunden, um die unerwartete Campingnacht zu begleichen. Am Platz lernten wir zwei weitere Radfahrerpaare kennen, die vorhatten, den selben Grenzübergang am nächsten Tag in Angriff zu nehmen. Kurz hintereinander brachen wir am nächsten Morgen zur Fähre auf. Gemeinsam mit tatkräftiger Unterstützung der sehr freundlichen Bootsbesatzung schafften wir es, 4 Räder, ein Tandem und gefühlte 100 Packtaschen zu verstauen. Bei wolkenverhangenem Himmel und Regen, der uns seit der Nacht begleitete, setzten wir gemeinsam mit einer niederländischen Wandergruppe auf die andere Seite über. Nach einer schlichten, händischen Grenzabfertigung startete dann das Abenteuer “Düsi geht Wandern”. Sechs Kilometer lang mussten wir es durch Wald, über Wurzeln, enge Wegstellen und kalte Bäche schieben, zerren und hieven. Da das Gefährt mit all seinen Taschen zusammen zu schwer war, bergauf geschoben zu werden, mussten wir die ganze Strecke zwei Mal zurücklegen. Einmal schulterten wir die schweren, großen Kleidungspacktaschen sowie die gelbe “Dicke Berta”, ein zweites Mal wurde Düsi von Matthias geschoben, während sich Nina wie ein Pferd mit einem Gepäcksgurt vor den Karren spannte und zog. War der Weg zu schmal oder steil, musste Matthias ein drittes Mal mit den vorderen Gepäcktaschen gehen. Waren wir aufgrund des Gegenwindes in den letzten Wochen ein langsames Vorankommen gewohnt, reduzierte sich dieses nochmals deutlich. Zermürbend war für uns jedoch nicht die Geschwindigkeit, da wir von anderen Radfahrern vorab gute Informationen dazu erhalten hatten - vielen Dank an Arnold! - sondern der anhaltende Regen. Als er am späten Nachmittag endlich aufhörte, besserte sich unsere Laune schlagartig. Dennoch mussten wir gegen sieben Uhr abends, dass wir es nicht mehr zum See O’Higgins schaffen würden. Es stellte sich als keine einfache Aufgabe heraus, einen geeigneten Zeltplatz im hügeligen Wald zu finden. Gegen acht Uhr wurden wir fündig, einen Kilometer vor dem Ende des Wanderweges. Das Fleckerl war halbwegs eben und nicht bewachsen. Ein Bächlein daneben spendete uns frisches Wasser. Der Regen war so freundlich, erst am nächsten Tag wieder einzusetzen, als wir bereits unterwegs waren und somit alles trocken verstaut hatten. Er konnte auch unser Stimmung nicht trüben, als wir das Schild “Republik Chile” und somit das Ende des Wanderwege erreichten. Die folgenden 17 Kilometer Schotterstraße waren in einem besseren Zustand als gedacht, sodass wir einen großen Teil radeln konnten. Vorbei ging es an einem einsamen, kleinen Flugfeld und durch Waldabschnitte. Zum Schluss wand sich die Straße kurvig, steil und ausgesetzt neben einer Schlucht zum Meer hinunter. Um ein chilenisches Visum zu bekommen, hielten wir bei der Grenzstation. Wir stellten Düsi ab und stärkten uns im Eingang, bevor wir anläuteten. Wanderer und Radfahrer werden dann einzeln eingelassen. Dank des starken Regens war der Grenzbeamte nicht motiviert, das Gebäude zu verlassen und unser Gepäck genauer zu inspizieren. Wir ersparten uns somit ein mühsames, unnötiges Abladen. Mit ausreichend zeitlicher Reserve kamen wir daher um 14 Uhr 30 beim Fähranleger an, um das Boot um 17 Uhr zu erreichen. Durch Nachfragen bei anderen Wanderern und Radfahrern stellten wir jedoch fest, dass wegen des starken Windes an diesem Tag keines fahren würde … vielleicht morgen? … oder vielleicht erst in drei Tagen? … Uns blieb nichts anderes übrig, als es den anderen gleich zu tun, in Candelaria Mansilla unser Zelt aufzuschlagen und abzuwarten. Der Blick auf den riesigen See ist vor allem in der Abendstimmung wunderschön, verdrängt aber nicht das mit der Zeit aufkommende Gefühl, festzusitzen und den Launen des Wetters und der Fährgesellschaft ausgeliefert zu sein. Die Gerüchteküche brodelte. Es gab eine holzbeheizte, heiße Dusche sowie einen zugigen Schuppen. An dessen Tür haben sich jene Wartenden mit Stricherllisten verewigt, die mehrere Tage auf das Schiff warten mussten. Die Schönheit und Gewalt der Natur liegen hier sehr nahe beieinander. Von Candelaria Mansilla kann man auch eine Bootsfahrt zum Gletscher O’Higgins unternehmen - wenn das Wetter es zulässt. Wir bereiteten uns am nächsten Morgen auf diese Möglichkeit vor und starteten daher früh in den Tag. Das war eine weise Entscheidung, wie sich bald herausstellte: Gegen zehn Uhr 30 kam die Campingplatzbesitzerin - sie hatte die Macht über das Funkgerät und somit den Kontakt zur Grenzstation und zum Schiffskapitän - und informierte alle, dass in circa einer halben Stunde das Boot kommen würde, um uns nach Villa O’Higgins zu bringen. Der Gletscherabstecher würde aber wetterbedingt ausfallen. Da wir fast fertig gepackt hatten, erreichten wir die Fährstation ohne Hektik. Unter den anderen Campern brach hingegen neben großer Freude etwas Hektik aus. Schließlich erreichten alle rechtzeitig das Schiff. Auch Grenzsoldaten marschierten extra zum Campingplatz, um zu informieren, und anschließend zum Anleger, um die Ein- und Ausreise zu überwachen. Wiederum stellte sich die Schiffsbesatzung als sehr tatkräftig und hilfsbereit heraus. Sie halfen beim Taschenverstauen und zurrten die Fahrräder am Deck so fest, dass sich nichts mehr bewegen konnte. Wie sich im Laufe der Fahrt zeigte, war dies unabdingbar, damit die Dinge trotz des starken Seegangs auch ankamen. Die erste Stunde konnte man noch am Schiffsdach den Ausblick genießen, wenn man sich entweder an der Reling ordentlich festhielt oder seinen Gleichgewichtssinn trainieren wollte. Danach war an ein Verlassen der Kabine nicht zu denken. Die Wellen waren auf drei bis vier Meter angewachsen und die Gischt spritzte bis über das Boot hinaus. In der 50-Mann-Kabine war es merklich still geworden. Die Insassen verfolgten gespannt das Auf und Ab über die Wellenberge. Eine gewisse Erleichterung wurde spürbar, als wir schließlich anlegten. Der Kapitän bestätigt die Wahrnehmung der Insassen: Später wäre es nicht mehr möglich gewesen, uns zu holen.

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